Die Idee
Das Vorhaben dieser Webseite besteht darin, die Lust am Denken neu zu entdecken, so wie auch einst der Freizeitsport als lebensbereichernde Kulturpraktik neu entdeckt wurde. Die körperliche Betätigung war durch die umfassende Maschinisierung von Lebensbereichen so weit in den Hintergrund gerückt, dass die Entlastung von Schwerstarbeit in Defizite der körperlichen Bequemlichkeit umschlug. Durch digitale Lebensangebote wird uns derzeit das Denken in Form der Reflexion, des Ergründens aber auch des Erstaunens durch intelligente Technologie abgenommen. Wenn Technologie das selbstständige Denken immer weiter ersetzt, könnte uns auch die geistige Betätigung genauso fehlen wie die körperliche Bewegung? Das ist zwar ungewiss, aber es lohnt sich, darüber nachzudenken. Lohnend sind insbesondere die Gebiete, in denen wir intuitiv handeln – und das sind vor allem die Bereiche der durch digitale Medien vermittelte Interaktion mit anderen.
Kommunikation
Wenn wir uns mit einer Person in demselben Raum befinden, kommunizieren wir anders als über Messanger Dienste. Die vielfältigen Angebote der Sozialen Medien können im Gegensatz zu physisch präsenter Kommunikation parallel bedient werden. Versierten Nutzerinnen und Nutzern der Sozialen Medien ist es leicht möglich, 50 Kommunikationskanäle nahezu gleichzeitig zu bedienen. Haben sich in der digitalen Moderne die Kommunikationsfähigkeiten der modernen Gesellschaft erhöht? Vermutlich nicht, denn es besteht in der digitalen Kommunikation ein entscheidender Unterschied im Vergleich zur direkten Kommunikation mit einem physisch präsenten Gegenüber. Trotz Verdichtung der Kommunikation über Soziale Medien findet die Interaktion zumeist zeitversetzt statt. Teilnehmer der digitalen Medien können darüber entscheiden, ob und wann sie die auf ihren Geräten angezeigten Botschaften beantworten. Anders als in unvermittelten Interaktionen mit Menschen, in der neben Sprache auch Gestik, Mimik sowie die räumliche Situation das kommunikative Handeln bestimmen, bleibt im digitalen Austausch immer noch Reaktionszeit. Auch wenn diese Zeit dafür genutzt wird, rasch zwischen parallelen Kommunikationskanälen zu wechseln, so können diese Reflexionsmomente dazu genutzt werden, sich anderen gegenüber so zu präsentieren, wie man selbst gesehen werden möchte. Das kann sogar auf 50 Kommunikationskanälen gleichzeitig gelingen. Wird jedoch versucht, die digitale Erscheinungsform der eigenen Person auch in Dialogformaten der physischen Präsenz aufrecht zu erhalten, so ist der dafür zu leistende Aufwand erheblich höher. Das mag die eine oder den anderen dazu verleiten, Kommunikationen in physisch präsenten Begegnungen aus dem Weg zu gehen. Der Reichtum zwischenmenschlicher Kommunikationsfähigkeiten kann jedoch nur dort erfahren werden.
Identität
In der digital vernetzten Gesellschaft gibt es nahezu unbeschränkte Möglichkeiten, seine individuelle Identität zu entwerfen. Jedoch besteht ein beachtlicher Aufwand darin, die eigene Sichtbarkeit in den sozialen Netzen beständig erneuern zu müssen. Soziale Hierachien haben sich immer weiter aufgelöst. Vormals festgefügte Rollen in einer starren Gesellschaftsordnung sind durch soziale Flexibilität ersetzt worden. Es besteht jederzeit die Chance, eine andere soziale Position einzunehmen. Aber es entsteht auch zunehmend eine Notwendigkeit, dieses tun zu müssen. Die Mitglieder der flexiblen Netzwerkgesellschaft befinden sich im ständigen Austausch untereinander. Abläufe in den unterschiedlichen sozialen Kontexten wie Job, Kindergarten, Schule sowie auch das eigene Engagement in Vereinen oder sozialen Gruppen lassen sich effizient über soziale Medien organisieren. Aber wer bezieht sich darin wirklich auf mich in meiner unverwechselbaren Identität? Geht es in meiner Präsenz mehr darum, die jeweiligen Gruppenüberzeugungen zu bedienen, als die eigene Überzeugung zu präsentieren? Genauso schnell wie die interaktive Teilnahme in sozialen Gruppen und Foren möglich ist, genauso schnell findet auch die faktische Exklusion statt, sobald die eigene Überzeugung sich als anstrengend oder sogar auch als störend erweist. Anders als in feudalen Gesellschaften mit zugewiesenen sozialen Positionen, sind in modernen Netzwerkgesellschaften diese Positionen volatil. Daraus folgt die Aufforderung an Individuen, die Balance zwischen der eigenen unverwechselbaren Identität und den Bedingungen der sozialen Inklusion nicht nur herzustellen, sondern diese Balance auch permanent zu erneuern. Trotz aller Lebenserleichterungen durch digitale Praktiken, wird der authentische Lebenswurf in dieser Balance zu einer neuen und bisweilen sehr mühsamen Lebensaufgabe.
Freiheit
Die „Freiheit des Internets“ ist zu einer Chiffre für das Recht auf Selbstverwirklichung im Digitalen geworden. Der „homo digialis“ als neues Konzept des Selbstentwurfs gründet jedoch auf Voraussetzungen, die keineswegs garantiert sind. Wenn Social Media Konten aus welchen Gründen auch immer gesperrt sind, besteht derzeit kein Anspruch darauf, dass diese wieder hergestellt werden. Digitalisierung verspricht vieles, aber sie garantiert letztlich wenig. Insofern besteht die „Freiheit des Internets“ nur so lange, wie sie nicht hinsichtlich ihrer Garantien und Funktionsbedingungen hinterfragt wird. Die unter dem digitalen Freiheitsnarrativ verborgene Idealvorstellung einer größtmöglichen individuellen Autonomie erweist sich als Utopie. Es besteht vielleicht noch für den Zugriff auf das Internet eine staatliche Versorgungssicherheit, nicht jedoch für die digitalen Anwendungen, mit denen die vermeintliche Freiheit realisiert wird. Darüber hinaus zeigt sich immer mehr, dass bei digitalen Plattformen Freiheiten des einen Teils der Gesellschaft an die prekäre Arbeit eines anderen Teils der Gesellschaft geknüpft ist. So werden beispielweise in Folge der Löschplichten Tausende von „Content Moderatoren“ beschäftigt, die unter größter psychischer Belastung diejenigen Inhalte aus dem Internet entfernen, welche für die Öffentlichkeit als unzumutbar oder strafbar gelten. Insbesondere beim Begriff der „Freiheit des Internets“ lohnt es sich, in der philosophischen Theorientradition nach Anknüpfungspunkten für eine aktuelle Auslegung des Freiheitsbegriffs zu suchen. Werden die Errungenschaften des philosophischen Freiheitsdiskurses auf die Gestaltung der digitalen Lebenspraktiken angewendet, so wird die Digitaltechnologie in ihrem Selbstzweck erkannt.